Carolina del Pilar will mit ihrer Kunst das Unsichtbare sichtbar machen. Was wie eine Floskel klingen mag, trifft bei ihr den Kern ihres Schaffens. Unter Verwendung einer ganzen Palette von Materialien wie Kohle, Graphit, Kreide, Radiergummi und Pigmenten entstehen in akribischer Feinarbeit oft großformatige, mitunter mehrere Meter überspannende Zeichnungen, in denen sich unzählige Striche, Tupfer, Punkte und Aussparungen zu organisch anmutenden, fließenden Formen zusammenfügen. Dass die Arbeiten durch wiederholte Übermalungen entstehen, die teilweise von unten durchscheinen, wieder aufgebrochen und abgetragen wurden, prägt den Gesamteindruck des Bildes maßgeblich, wird dem Betrachter aber oft erst auf den zweiten Blick bewusst. Die Darstellungen sind nicht gegenständlich, informell, ganz Form und Energie. Nicht wenige Betrachter werden sich beim Anblick der aus Sedimenten geformten Bewegungen an die sich zu wellenförmigen Wogen arrangierten Nagelbilder von Günther Uecker erinnert fühlen.
Für del Pilar sind das Leben, die Natur, der menschliche Geist ein stets in Veränderung befindliches Resultat permanenter Überlagerungen des Vergangenen durch die Gegenwart, von Überschreibungen, Dekonstruktionen und neuen Modellierungen, die mit der Zeit wachsen, sich wechselseitig prägen und durchdringen. Diesen Prozess eines ewigen Palimpsests vollzieht sie bei der Entstehung ihrer Arbeiten nach, indem sich Auf- und Abtragungen der Urmaterialien wie Kohle, Kreide und Graphit Schicht um Schicht übermalen, verändern, wieder auslöschen oder sich wechselseitig verstärken, und macht ihn so für den Betrachter sichtbar. Der Arbeitsprozess selbst ist hoch konzentriert und energetisch, mag für einen zufälligen Beobachter gar wie ein performativer Akt wirken. Dabei ist das Resultat nicht vordefiniert, es bildet sich erst im Verlauf heraus und das entstehende Bild folgt den körperlichen Bewegungen der Künstlerin wie ein organisch fließender Schwarm aus tausenden von Zeichenstrichen.
Carolina del Pilar wurde in Kolumbien geboren, wo sie aufwuchs, 1997 ihr Abitur machte und anschließend eine Schauspielausbildung absolvierte. Im Jahr 2000 ging sie nach Deutschland, wo sie zunächst in Hamburg lebte und 2009 an der Kunsthochschule Berlin Weißensee Ihr Studium in Textil- und Flächendesign aufnahm, das sie 2017 mit dem Master of Arts abschloss. Schnell erkannte sie, dass Sedimente wie insbesondere Kohle und Kreide ihr den künstlerischen Ausdruck ermöglichen, den sie sucht. Es genügte ihr aber nicht, das Material als reinen Werkstoff zu nutzen, sie ging ihm auch wissenschaftlich auf den Grund, entdeckte die ungeheure Vielfalt unterschiedlicher Ausprägungen ihrer Werkstoffe und schrieb schließlich ihre Masterarbeit über Kohle es chemisches Element. Der naturwissenschaftliche Bezug ist dabei kein Zufall, vielmehr sucht sie stets die Verbindung von Naturwissenschaften wie der Biologie und Medizin zur Kunst. So setzt sie ihre bevorzugten Arbeitsmaterialien in dem Bewusstsein ein, dass Kohle nicht nur ein Energiespeicher ist, sondern ihr im Jahrhunderte währenden Prozess der Verkohlung auch unzählige Informationen über vergangene Erdzeitalter eingeschrieben wurden. Del Pilars Arbeiten waren bereits in mehreren Ausstellungen in Hamburg, Malmö und Berlin zu sehen und sind in diversen privaten Sammlungen vertreten.
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Carolina del Pilar seeks to make the invisible visible with her art. This may sound like a cliché, but in her case, it captures the essence of her work. By using a wide range of materials such as charcoal, graphite, chalk, erasers and pigments, she meticulously creates often large-format drawings, some of which span several metres, on which countless strokes, dabs, dots and cut-outs merge into organic, flowing forms. The fact that the works are created by repeated overpainting, with previous paintings showing through from below, broken up again and removed, significantly shapes the overall impression of the painting; however, the viewer often only becomes aware of this upon a second glance. The depictions are not representational – they are informal, all about shape and energy. Upon seeing the formations of sediments, some viewers will be reminded of Günther Uecker’s nail art, in which nails are arranged in wave-like undulations.
For del Pilar, life, nature, the human spirit are the result of permanent superimpositions of the past by the present – of overwritings, deconstructions and new versions that grow over time and mutually shape and permeate each other. When creating her works, she replicates this sense of an endless palimpsest by painting over, changing, erasing or alternately intensifying layer upon layer of the original materials such as charcoal, chalk and graphite. The creative process is highly concentrated & energetic and may even seem like a kind of performance to a casual observer. The result is not predefined, it only emerges in the course of the work and the resulting image follows the artist’s physical movements like an organically flowing shoal of thousands of strokes.
The artist is increasingly turning to paper as a material and exploring new techniques, such as the Japanese Kiri cutting technique. She produces her own papers, works with tears and other damages to the material and integrates these as independent design elements. These experimental interventions merge with her graphic gestures and combine with her drawing style to create a vibrant interplay of texture, form and dynamics.
Carolina del Pilar was born in Colombia. This is where she grew up, graduated from high school in 1997 and subsequently trained as an actor. In 2000, she moved to Germany, where she first lived in Hamburg. In 2009 she began her studies in textile and surface design at the Weißensee Academy of Art Berlin, which she completed in 2017 with a Master of Arts degree. She quickly realised that sediments made up of charcoal and chalk in particular gave her the artistic expression she was looking for. However, it was not enough for her to use the material purely as a resource, she also got to the bottom of it scientifically, discovered the immense variety of different manifestations of her materials and finally wrote her master’s thesis on charcoal as a chemical element. Del Pilar’s works have already been shown in several exhibitions in Hamburg, Malmö and Berlin, are honoured by the Kunstverein Bad Saarow with a solo exhibition and are represented in various private collections.